Wie wir in Zukunft leben, zeichnet sich durch das IoT bereits jetzt ab. Wir werden Technik, sofern sie uns nutzt, viel näher an uns heran lassen als bisher.
Das Unternehmen QVC ist zusammen mit Trendforscher Prof. Peter Wippermann und zehn weiteren Experten der Frage nachgegangen, wie Deutschland 2038 lebt. Fest steht: Künstliche Intelligenz und Technologien wie der 3-D-Druck sowie VR und AR werden uns näher als jemals zuvor sein. Die TREND-REPORT-Redaktion sprach mit Prof. Wippermann über die wichtigsten Ergebnisse der bereits zweiten großen Studie von QVC zu den großen Zukunftsfragen.
Herr Prof. Wippermann, wie konsumieren wir 2038? Wie wichtig wird Personalisierung?
In Zukunft wird uns nicht mehr ein Produkt allein, sondern dessen Gestaltbarkeit durch Technologien anziehen. Wir werden zu kreativen Co-Designern der Waren, die wir kaufen. Oder gar zu Co-Herstellern, indem wir Software erwerben und Waren selbst am 3-D-Drucker produzieren. Wenn wir Dinge des täglichen Bedarfs nach unseren Wünschen gestalten, können wir damit unsere Persönlichkeit stärker ausdrücken. Sei es durch Kleidung, Make-up oder Möbel.
Der Workshop zur Living-2038-Studie hat ergeben: Die heutige Generation Z kann sich vorstellen, in Zukunft nahezu alles zu individualisieren. Hersteller können dieses Bedürfnis mit Produktion „on demand“ in kürzester Zeit befriedigen. Der Mobilitäts-Experte Carl-Friedrich Eckhardt nennt im Interview zu unserer Studie ein Beispiel: Wenn ein Auto mittels intelligenter Systeme erkennt, wer gerade eingestiegen ist, stellt es Sitz und Spiegel passend ein und lädt die individuelle Playlist. Je mehr Menschen sich einen Wagen teilen, desto wichtiger werden solche Funktionen. In der Subscription-Economy wiegt der Zugang zu den Produkten unserer Träume mehr als der Besitz.
Welche Rolle spielen das IoT und das (I)IoT in Ihrer Studie?
Seit Geräte sich vernetzen und eine ansprechbare Adresse bekommen haben, beginnen sie, eine eigene Form der Identität zu entwickeln. In der Mensch-Maschine-Beziehung können wir bereits heute eine neue Art der Geselligkeit beobachten, die es bisher nur unter Menschen gab. KI-gesteuerte Systeme werden immer besser darin, soziale ebenso wie intellektuelle Codes zu bedienen – mit Humor und Smalltalk. Alexa hat angeblich bereits mehr als 100 Millionen Witze erzählt. In Zukunft werden digitale Assistenten noch genauer wissen, wie sie unsere menschlichen Wünsche erfüllen. Roboter zu nutzen, die den Haushalt erledigen und bedienen, können sich übrigens 54 Prozent aus der Generation Z laut unserer Studie vorstellen. Die Butler-Bots der Zukunft werden humanoid erscheinen. Künstliche Intelligenz schaut sich das „Best of“ menschlicher Verhaltensweisen ab und lernt daraus. Auch für Maschinen gilt das Prinzip Learning-by-Doing. Die Feedbackschleife zum Menschen ist unabdingbar für die Weiterentwicklung.
Wie weit könnte die Vernetzung Mensch-Maschine gehen? Und wie wird das unser Konsumverhalten beeinflussen?
Im medizinischen Kontext wird bereits verstärkt mit der digitalen Vernetzung zum menschlichen Körper experimentiert. Neurochips und Elektroden im Gehirn sollen helfen, Erkrankungen wie Parkinson oder Depressionen zu therapieren. Elon Musk will bekanntlich noch viel weitergehen und das Gehirn direkt mit einem Computer verlinken, um uns einen Vorsprung gegenüber der künstlichen Intelligenz zu verschaffen. Mit seinem Unternehmen Neuralink forscht er an neuronaler Spitzentechnologie. Das mag für manchen noch nach Zukunftsmusik klingen. Die Generation Z ist laut unserer Living-2038-Studie aber offen für diese Ideen: 31 Prozent aus dieser Altersgruppe können sich eine Verbindung zwischen einem Körperteil und dem Internet vorstellen. Jeder Dritte aus der Generation Z will in Zukunft Mikrochips ausprobieren, die im Inneren des Körpers Gesundheit und Leistungsfähigkeit überwachen. Im Jahr 2038 ist das für uns womöglich schon ganz normal.
Wie viel künstliche Intelligenz wird benötigt, um diese Thesen Realität werden zu lassen?
Viel mehr, als wir es aktuell erleben. Glaubt man einer aktuellen Studie des McKinsey Global Institute, wird der Einsatz künstlicher Intelligenz größere volkswirtschaftliche Konsequenzen haben als die Erfindung der Dampfmaschine. Daher ist es umso wichtiger, weiter daran zu forschen, wie sie sich auf unser Alltagsleben und unsere Gesellschaft auswirkt.
Inwieweit werden 3-D-Drucker und Genanalysen den Food-Markt verändern? Und was haben Verbraucher davon?
Im Food-Bereich eröffnet der 3-D-Druck neue Möglichkeiten, die Ernährung unseren persönlichen Vorlieben anzupassen – und Zeit zu sparen. Die Snack-Kultur aus dem 3-D-Drucker wird die Fertiggerichte von heute ersetzen. Das Selberkochen hingegen wandelt sich von der selbstverständlichen Alltagsaufgabe hin zur anspruchsvollen Freizeitbeschäftigung und wird Mittelpunkt aufwendig inszenierter, sozialer Events. Die Beschäftigung mit der eigenen DNA und individueller Ernährung wird nach den Superfoods der nächste große Trend. Das Genprofil liefert die Grundlage der optimalen präventiven Ernährung, der Pro-active Nutrition. In den USA bietet 23andMe Gesundheits- und Ahnenforschung auf Basis eines Gentests für 139 US-Dollar an, ohne dass ein Arzt als Vermittler notwendig ist. Das Unternehmen ist zudem Datenlieferant für die Life-Science-Industrie – und damit perspektivisch auch für die Ernährungsindustrie. Sie könnte damit individuelle Lebensmittel passend zum genetischen Profil anbieten. Nestlé testet in Japan bereits derartige personalisierte Ernährungsangebote. Die größte Veränderung für unsere Ernährung kündigt sich aber durch kultiviertes Fleisch aus dem Labor an: Clean Meat, das umweltbewusst und ohne Tierleid künstlich hergestellt wird.
Können uns Technologien auch helfen, selbst aktiver zu werden, anstatt einfach zu konsumieren?
Ja, das lässt sich sehr gut an der wachsenden Szene der Maker beobachten, die sich regelmäßig auf der Maker Faire trifft. Die Messe findet mittlerweile in rund 40 Ländern statt. Es wird geschraubt, gelötet und getüftelt, und zwar von allen Altersstufen. Das Event ist Familienfest und Wissensplattform zugleich. Do-it-yourself wird zum Do-it-together. Und am Ende sind meist viele spannende und auch skurrile Projekte entstanden, von der Drohne über Lego-Kunstwerke, von der Soundinstallation bis zum 3-D-Druck. Analoge und digitale Ideen sollen und dürfen sich dabei gegenseitig befruchten. Computer und Roboter sind selbstverständliche Werkzeuge der Maker. Ihre Technologiefreundlichkeit eröffnet ganz neue Spielräume im Selbermachen, das sich aus der Bastelecke zu einer gesellschaftlichen Bewegung weiterentwickeln wird. Dahinter steckt ein großer Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Unsere Living-2038-Studie hat gezeigt, dass es unter den Deutschen ein starkes Bedürfnis gibt, Dinge selbst zu reparieren und Projekte mit den eigenen Händen zu realisieren – und am Ende das Gefühl zu haben: Ich habe etwas fertiggestellt. In zwanzig Jahren bauen wir womöglich unsere Häuser gemeinsam selbst, so wie es Pilotgruppen in Wien bereits heute tun.
Wie wird sich unser Wohn- und Lebensraum in Zukunft verändern?
Der Wohnraum in den urbanen Zentren schrumpft und setzt uns zunehmend Grenzen. Durch neue Technologien erobern wir uns Raum zurück. 2038 erleben wir die Ära der Immersion: das Abtauchen in virtuelle Welten. Virtual und Augmented Reality öffnen uns ein neues Fenster zur Welt. In fremde Länder reisen wir künftig mit der VR-Brille, ohne uns dabei vom Sofa zu bewegen – und ohne auf Scharen anderer Touristen zu treffen. 27 Prozent aus der Generation Z wünschen sich schon heute, dass sie ihr Zuhause nicht verlassen müssen, um etwas zu erleben. Unsere realen Räume dagegen richten wir künftig immer aufwendiger ein, um sie unserer Netz-Community zu zeigen, also auch völlig fremden, menschlichen Zuschauern. Video-Einrichtungen, durch die man ständig mit seinen Freunden verbunden ist: Das können sich 38 Prozent aus der Generation Z für die Zukunft gut vorstellen. Amazon hat sich bereits das Patent für eine Technologie gesichert, die Wohnungen und Freunde per Live-Monitoring verbindet. Co-Living ist ein weiterer Trend, der wachsen wird – jedoch mit neuen Designkonzepten, die mit rumpeligen WG-Zimmern nicht mehr viel gemein haben. 40 Prozent aus der Generation Z sind offen dafür, künftig in Wohnhäusern zu leben, in denen sie sich Räume und Services teilen.
Welchen Stellenwert werden in Zukunft Co-Working-Spaces einnehmen?
Wir werden sie zunehmend brauchen. Denn das Gig-Working könnte die Nine-to-Five-Arbeit ersetzten. Selbstständig arbeitende, temporäre Dienstleister müssen ihre Ressourcen, wie das Auto oder den Computer, selbst mit einbringen – Plattformen agieren nur als Vermittler. Jobbörsen zu nutzen, „auf denen ich unkompliziert auch nur minutenweise arbeiten und Geld verdienen kann“ – das können sich 48 Prozent der Deutschen laut unserer Living-2038-Studie für die Zukunft gut vorstellen. Co-Working-Spaces stellen die passenden Büros auf Zeit und locken mit Extras wie Fitnessstudios, Office-Services und sogar Kitas. WeWork wurde 2010 als Start-up in New York gegründet und ist heute weltweit erfolgreich. Inzwischen gibt es Tochterunternehmen: Rise by We eröffnet Wellness-Studios, die an die Büros andocken. Vom Schreibtisch geht der Freelancer direkt zum Crossfit-Kurs oder der Meditationsklasse. Für Food- und Beauty-Marken eröffnen die luxuriösen Co-Working-Spaces ganz neue Märkte. Millenials verbringen jetzt schon viel Zeit bei der Arbeit. Die passenden Produkte wie Snacks, Kaffee und Wellnesszubehör werden ihnen in Kühlschränken und Pop-up-Stores verstärkt dort begegnen.
Kernaussagen |
1. Jugendlichkeit definiert die Kultur der Zukunft: Beauty-Tech-Gadgets kommen im Alltag an, makellose Schönheit wird machbar. Zugleich wird das Verständnis dessen, was schön ist, immer individueller. |
2. Konsum wird zum Spiegel des Selbst: indem wir Produkte, Erlebnisse und Services persönlich gestalten. |
3. Die Vernetzung und Medialisierung der Wohnung nimmt zu. Das Wichtigste auf der Welt, unser Zuhause, wird öffentlich. |
4. Aus Menschen werden Maker: Selbermachen schafft den Schritt aus der Hobbyecke und wird zur neuen gesellschaftlichen Bewegung. |
5. Sharing bringt neuen Luxus ins Leben, indem wir den Zugang zu Produkten und Services abonnieren, statt sie zu besitzen. |
Derzeit findet in unserer Gesellschaft verstärkt ein „Konservatismus“ und „Protektionismus“ statt? Inwiefern könnte das die genannten Thesen beeinflussen?
Technik bewirkt Innovationen. Man kann sie entweder bekämpfen oder beschleunigen. Je nachdem, wo auf der Welt Sie sich gerade aufhalten, findet beides aktuell statt. Im Silicon Valley werden Sie vermutlich andere Reaktionen bekommen als in einer Kleinstadt in der Provinz. Wann immer es darum ging, unsere Zukunft neu zu gestalten, musste dies ausgehandelt werden. Ich sehe das nicht negativ, sondern als Herausforderung. Die Begeisterung für Neues scheint derzeit gedämpft. Doch die Erfahrung zeigt: Sobald wir den persönlichen, positiven Nutzen neuer Technologien erkennen, passen wir uns dennoch bereitwillig an.
Bereits 2016 führten Sie im Auftrag von QVC eine ähnliche Studie durch. Manifestieren sich darin genannte Trends bereits jetzt?
Ja, durchaus. Der Handel wird zunehmend von der Digitalisierung getrieben und die Trennung zwischen offline und online ist kaum noch wahrnehmbar. Zugleich nimmt die aufwendige Inszenierung von Erlebnissen in der realen Welt zu. New Vintage ist hier das Stichwort – zu beobachten beispielsweise in einigen Luxus-Hotels der Metropolen, die mit ihrem Innendesign durch Marmor, Gold und Antiquitäten den Glamour vergangener Tage aufleben lassen. Das Grandhotel Peninsula in Paris beispielsweise wurde von den besten Handwerkern Frankreichs für eine Milliarde Euro neu gestaltet. Dort zu residieren soll wieder eine besondere Erfahrung sein. //
Zur Person Prof. Peter Wippermann