Was sind Smart Services und digitale Ökosysteme?

Die Grundlage für digitale Geschäftsmodelle im Internet der Dinge stellen Smart Services und digitale Ökosysteme dar.

von Dr. Sebastian von Engelhardt
und Stefan Petzolt

Smart Services werden in den klassischen Industriebranchen im Zusammenhang mit den Schlagwörtern Smart Factory, Smart Production oder Smart Maintenance diskutiert. Mittlerweile hat sich die Diskussion über die Industrie hinaus ausgeweitet. Unter den Stichworten Smart Health, Smarthome, Smart City und Smart Mobility wird nun auch der Consumer-Bereich adressiert.
Aber was sind Smart Services? Smart Services sind intelligente Dienstleistungen, die Kundenbedürfnisse auf Basis gesammelter und analysierter Daten – Smart Data – mit maßgeschneiderten Angeboten befriedigen. Häufig werden dazu die Leistungen mehrerer Unternehmen über digitale Plattformen miteinander verknüpft, um den Nutzern den größtmöglichen Mehrwert bieten zu können.

Vier Ebenen: Sensoren, Infra­struktur, Anwendung, Geschäfts­modelle

Die Plattformen bestehen aus vier Ebenen. Die erste Ebene bildet die Sensorinfrastruktur. Hier erfassen Sensoren physikalische oder chemische Eigenschaften wie die Schwingungen einer Maschine oder die Zusammensetzung eines Stoffes. Die Daten von verschiedenen Sensoren werden in der zweiten Ebene, der Dateninfrastruktur, gespeichert und können abgeglichen, analysiert, interpretiert sowie mit anderen Daten verknüpft werden. Oftmals kommen hierfür Konzepte des Machine Learning oder der künstlichen Intelligenz zum Einsatz. Aufbauend auf diesen „veredelten“ Daten werden in der dritten Ebene, der Dienstleistungsebene, den Nutzern Anwendungen zur Verfügung gestellt.

Anwendungen können sich dabei auf eine reine Visualisierung der Daten (z. B. die Anzeige des Ölfüllstands) sowie das Vorschlagen von Handlungsempfehlungen (z. B. neues Öl zuführen) beschränken. Sie können aber auch automatisiert Aktionen vornehmen (z. B. neues Öl bestellen). Diese Anwendungen werden als Smart Services bezeichnet. Ihr großes Potenzial liegt in der Nutzung unterschiedlicher Daten, deren automatisierter Auswertung und der Verknüpfung mehrerer Akteure. Sie haben das Potenzial, neue maßgeschneiderte Dienstleistungen zu realisieren und bestehende Dienstleistungen zu erweitern. Gleichzeitig entstehen auf Grundlage der Smart Services in der vierten Ebene, der Geschäftsmodellebene, neue Verwertungs- und Wertschöpfungsmöglichkeiten.

Da ein Anbieter eines Smart Services sowohl auf die Sensorinfrastruktur und Dateninfrastruktur als auch auf Dienstleistungskomponenten angewiesen ist, kann er sein Angebot selten alleine umsetzen. Über eine digitale Plattform können die Leistungen verschiedener Anbieter gebündelt werden. Eine solche Smart-Service-Plattform ist dann auch die zentrale Anlaufstelle für die Nachfrager, d.h. die Nutzer von Smart Services. Dadurch werden Such-, Informations- und Koordinationskosten aller Akteure gesenkt. Die Plattform ermöglicht somit Markttransaktionen zwischen Akteuren, die ohne die Smart-Service-Plattform nicht oder nur mit einem erheblich größeren Aufwand miteinander interagieren könnten. Die Realisierung von Smart Services bringt daher im Gegensatz zu herkömmlichen Dienstleistungen verschiedene Besonderheiten mit. Viele dieser Besonderheiten beruhen auf der digitalen Plattformökonomie (Dr. von Engelhardt, Dr. Wangler, & Dr. Wischmann, 2017).

 


Die systematische Vernetzung von Daten und Services verschiedener Anbieter
sowie das gemeinsame Agieren in einem Wertschöpfungsnetzwerk oder auf einer Service-Plattform werden für immer mehr Unternehmen ein Erfolgsfaktor.


Besonderheiten der Plattformökonomie

Durch die Verknüpfung von unterschiedlichen Akteursgruppen, deren Produkte und Services entsteht ein Gesamtsystem. Umso mehr Akteure daran partizipieren, desto attraktiver gestaltet es sich für alle Beteiligten – sprich indirekte Netzwerkeffekte treten in Erscheinung. Beispielsweise bevorzugen Verkäufer die Plattform, die die meisten potenziellen Käufer aufweist, während Käufer den digitalen Marktplatz mit den meisten Angeboten präferieren. Digitale Plattformen weisen außerdem ein hohes Skalierungs- und Reichweitenpotenzial auf. So kann zusätzliche Rechenkapazität schnell und flexibel bereitgestellt werden und stellt grundsätzlich keine Barriere dar. Auch geografisch sind Smart Services keine Grenzen gesetzt.

 

App-Stores
App-Stores waren die ersten Beispiele von Plattform-Ökonomie:
Ein Produkt – das Smartphone – wird durch Anwendungen in seinen Funktionen erweitert.
Dieses Prinzip funktioniert natürlich auch auf der Ebene der Produktion.

 

Diese Eigenschaften führen zu besonderen Marktdynamiken. Ein Smart Service, bei dem sich z. B. Datenanalyse-Angebote verschiedener Anbieter zu individuellen Auswertungen zusammenstellen lassen, muss zuerst das sogenannte Henne-Ei-Problem lösen: Die Nutzer finden das Smart-Service-Angebot nur dann attraktiv, wenn genügend Anbieter von kompatiblen Datenanalyse-Tools vertreten sind. Zugleich gilt: Anbieter werden sich nur auf das neue Ökosystem einlassen (d. h. Smart Services entwickeln), wenn genügend potenzielle Kunden das System nutzen. Ist hingegen die kritische Masse erreicht, führen selbstverstärkende Effekte zu exponentiellem Wachstum und die Plattform kann bereits in kurzer Zeit Marktdominanz erlangen.

In der Literatur werden verschiedene Strategien vorgestellt, wie Plattformbetreiber das Henne-Ei-Problem lösen können. Beispielsweise können vorab Anbieter von Smart Services exklusiv angesprochen und an die Plattform gebunden werden, sodass bei der Eröffnung der Plattform bereits erste Services für die Nutzer verfügbar sind. Auch können skeptische Akteure durch Anreize (Preisnachlässe, Testphasen) gezielt angeworben werden.

 

Zwei Ansätze: Marktplatz vs. Ökosystem

Die Geschäftsmodelle im Zusammenhang mit Smart Services können grundsätzlich zwischen einem Marktplatz und einem Ökosystem unterschieden werden:
Wenn das Geschäftsmodell vor allem darauf beruht, Angebot und Nachfrage zusammenzuführen, dann muss die Plattform als Marktplatz funktionieren und anbieten, was für die Nutzung eines solchen relevant ist: das Angebot einer geeigneten Informations- und Suchfunktion sowie die Sicherstellung der Transaktion und der Preisfindung. Ein zentrales Merkmal von Marktplätzen ist, dass die Smart Services unabhängig voneinander funktionieren: Nutzer kaufen einzelne Smart Services, die sie unabhängig von anderen Smart Services verwenden. Eine Kompatibilität der Anbieter ist dementsprechend nicht zwingend notwendig. Ein von Nachfragern und Anbietern unabhängiger Betrieb der Plattform (neutraler Marktplatz) sowie ein qualitativer Vorabcheck von Anbietern – ergänzt um eine Bewertungsfunktion durch die Nachfrager – hat sich als erfolgreich erwiesen.

Marktplatz-Plattformen finanzieren sich meistens durch eine Umsatzbeteiligung, die von den Anbietern zu entrichten ist, oft durch eine monatliche Gebühr für Premiumeinträge ergänzt.
Geht es hingegen im Kern um das Angebot eines datenzentrierten Gesamtsystems aus sich ergänzenden und kombinierbaren Services und ggfs. anderen Komponenten, handelt es sich bei der Plattform um ein Ökosystem. In diesem Fall ist die Qualität aller Komponenten und insbesondere die Usability des Gesamtsystems entscheidend. Ein zentrales Charakteristikum der Ökosysteme ist die Abhängigkeit der Smart Services untereinander, weshalb die Plattform die Interoperabilität der Dienste sichern muss.

Das Ökosystem bedarf, als in seiner Gesamtheit offenes und benutzerfreundliches System, eines weitsichtiges Management. Beteiligen kann sich nur, wer die (technischen) Qualitätsmindeststandards nachweisen kann. Der Zugang zum System ist kostenpflichtig, wobei die Unterschiede der eingebundenen Akteursgruppen in der Preisstruktur berücksichtigt werden. Typischerweise setzt sich der Preis durch nutzungsabhängige Gebühren und Kosten für separate Premiumdienste zusammen.
Der Marktplatz- und der Ökosystem-Ansatz schließen sich dabei nicht gegenseitig aus: Viele Smart-Service-Geschäftsmodelle kombinieren Elemente des Marktplatzes mit Elementen des Ökosystems.

 


Durch die Verknüpfung von unterschiedlichen Akteursgruppen, deren Produkte und Ser­vices entsteht ein Gesamtsystem. Umso mehr Akteure daran partizipieren,
desto attraktiver gestaltet es sich für alle Beteiligten – sprich indirekte Netzwerkeffekte treten in Erscheinung.


Hilfestellungen beim Aufbruch in die „Smart Service Welt“

Die systematische Vernetzung von Daten und Services verschiedener Anbieter sowie das gemeinsame Agieren in einem Wertschöpfungsnetzwerk oder auf einer Service-Plattform werden für immer mehr Unternehmen ein Erfolgsfaktor. In der Welt der Smart Services sind Kenntnisse über und das Agieren nach der Systemlogik der digitalen Märkte für den wirtschaftlichen Erfolg notwendig. Das Programm „Smart Service Welt“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert die Entwicklung und Umsetzung innovativer Smart Services mit insgesamt 20 Projekten, die intelligente Dienste entwickeln. Das Hauptaugenmerk liegt dabei vor allem auf den Verwertungsmöglichkeiten von Smart Services.

Insbesondere die Arbeitsgruppe „Digitale Geschäftsmodelle/Plattformökonomie“ bemüht sich dabei um die Realisierung generalisierter Prozesse zur Etablierung digitaler Geschäftsmodelle. In der Arbeitsgruppe ist unter anderem auch das „Digitale Plattform Canvas“(2) erarbeitet und validiert worden. Dieses Canvas benennt die zentralen Punkte, die beim Aufbau von Smart Services beachtet werden müssen – und gibt Unternehmen somit eine Hilfestellung, um erfolgreich in die Welt der Smart-Service-Plattformen zu starten. //

 

 

Autorenvitae

Dr. Sebastian von Engelhardt Stefan Petzolt

 

 

 

Quellen:
(1) In Anlehnung an Integrierte Smart Services Plattform. Abgerufen am 18. Juli 2018 von Fraunhofer IAO: http://wiki.iao.fraunhofer.de/index.php/Smart_Services
(2) https://www.digitale-technologien.de/DT/Redaktion/DE/Kurzmeldungen/Aktuelles/2018/2018_10_04_SSW_NL_Canvas.html

 

 

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