Neue Supply-Chain: Wie verändert der 3-D-Druck die Lieferketten und was bedeutet das für den stationären Handel?
von Prof. Dr. Welf Wawers
Die schnell anwachsende Verwendung der additiven Fertigungsverfahren, auch als 3-D-Druck bezeichnet, revolutioniert die Fertigungstechnik von Grund auf und eröffnet der Konstruktionstechnik bislang ungeahnte Möglichkeiten. Mit der Qualifizierung immer neuer Materialien für den 3-D-Druck dringen die Verfahren auch in immer neue Produkte vor, seien diese aus Kunststoffen, Metallen oder sogar Proteinen aufgebaut. Und die Verfahren wachsen rasant, laut einer Studie von PwC Strategy& vom Januar 2018 wird das Marktvolumen für gedruckte Produkte bis 2030 auf 22,6 Milliarden Euro ansteigen und sich damit fast verzehnfachen.(1) Die damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderungen der gesamten Wertschöpfungskette eines Produkts betreffen auch den Handel und den weltweiten Warenverkehr, also die globalen und lokalen Lieferketten.
Bis zu 10 000 Einzelteile sind in einem modernen Pkw verbaut. Etliche dieser Einzelteile werden bei einem Modellwechsel zwar in die nächste Generation mit übernommen, trotzdem gibt es einige Hundert oder sogar Tausende Teile, die nur noch für den After-Market produziert werden. Berücksichtigt man den allgemein immer kürzeren Produktlebenszyklus, der z. B. bei Fahrzeugen von im Schnitt acht Jahren in den 1970er-Jahren auf drei in den 1990er-Jahren gesunken ist, kumuliert sich hier ein enormer Aufwand für die Produktion, die Lagerhaltung und die Lieferung von Bauteilen, die im Laufe der Zeit immer seltener nachgefragt werden. Zur Verfügung halten muss der Hersteller diese Bauteile allerdings. So besagt in Deutschland beispielsweise die Rechtsprechung, dass Ersatzteile für einen Zeitraum von mind. zwölf Jahren nach Auslieferung des letzten Fahrzeugs einer Modellreihe bereitgestellt werden müssen. Aus Prestigegründen gehen die Hersteller aber selbst oft weit über die zwölf Jahre hinaus, man denke nur an den VW Käfer oder den Mercedes /8.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass eine der frühesten Anwendungen der 3-D-Drucktechnik für Fahrzeugteile im After-Market angesiedelt ist. Seit 2016 bietet die Daimler AG in ihrer Nutzfahrzeugsparte in 3-D-gedruckte Ersatzteile an. Zunächst in Kunststoff, ein erstes gedrucktes Aluminium-Bauteil ist im Lkw-Bereich bereits auch verfügbar.(2)
Auch der Volkswagen-Konzern setzt bereits an 26 verschiedenen Standorten 3-D-Drucker für die Ersatzteilherstellung ein. VW platziert dafür regionale Druckzentren, mit dem erklärten Ziel, die Logistik und Lagerhaltung zu vereinfachen.(3) Erreicht wird diese Vereinfachung in erster Linie mit der Überspringung von Supply-Chain-Prozessschritten, womit auch erhebliche Einsparungen beispielsweise bei den Transportkosten oder, gerade aktuell mit Blick auf die USA, bei Einfuhrzöllen einhergehen. Dieser Einfluss der 3-D-Drucktechnik auf die Supply-Chain wird auch zunehmend den Logistikdienstleistern bewusst. Im November 2016 veröffentlichte DHL einen Report zu dem Thema „3-D-Druck und die Zukunft der Lieferketten“.(4)
Mit Blick auf den Report glaubt Matthias Heutger, Senior Vice President bei DHL, dass „der 3D-Druck mittelfristig die größten Auswirkungen auf die Ersatzteillogistik und bei der Herstellung von kundenspezifischen Teilen haben wird.“(5) Die Überspringung von Supply-Chain-Prozessschritten wie beispielsweise dem globalen Gütertransport bedeutet einen Wegfall der Transportkostenumsätze. Trotzdem sieht Matthias Heutger der neuen Technologie positiv entgegen und meint, diese „könnte Logistik und Herstellung näher zusammenbringen als jemals zuvor.“
Ein Schritt in diese Richtung wären beispielsweise lokal beim Endkunden angesiedelte oder als „Pop-up-Store“ mehr oder weniger mobile, von den Logistikunternehmen geführte Mikrofabriken. Bestellt der Kunde ein Produkt oder ein Ersatzteil, erhält die nächstgelegene Mikrofabrik die CAD-Printdaten vom Hersteller (oder dem Lizenzrechtehalter). Das Bauteil wird endkundennah gedruckt und mit minimalen Transportkosten geliefert. Der nächste Schritt, im DHL-Report von 2016 als Zukunftsvision mit Verweis auf ein von Amazon beantragtes Patent beschrieben, geht noch weiter. Dabei könnten Lieferwagen mit 3-D-Druckern bestückt werden. Mit diesen dann vollkommen mobilen Mikrofabriken könnten die Produkte auf dem Weg zum oder vor Ort beim Kunden hergestellt werden. Die Vision rückt gerade in die Gegenwart, das Patent für einen innovativen On-Demand-3-D-Druck-Service für den Einzelhandel(6) wurde Amazon Anfang Januar 2018 erteilt. Es ist davon auszugehen, dass Amazon dieses Patent nun auch zeitnah umsetzen wird. Einige der großen Fragen im Zusammenhang mit dem Aufbau von Mikrofabriken, ob mobil oder nicht und ob in der Hand der Logistikunternehmen oder von örtlichen 3-D-Druckshops oder sogar von Privatpersonen für den eigenen Bedarf, sind die Produktverantwortung und die Haftung im Schadensfall.
Kernaussagen | |
• | Die Wirkung des 3-D-Drucks ist bis weit in die Gesellschaft hinein. Durch 3-D-Drucker für den Heimgebrauch sprechen Experten schon von der „Demokratisierung des Produktes“. |
• | Im „Rapid Prototyping“ ist der 3-D-Druck bereits lange fest etabliert. Weitere Einsatzbereiche sind z. B. Werkzeugbau, Formenbau und Ersatzteilherstellung. |
• | Die Produktion eines Konsumguts kann nun auch wieder in Hochlohnländern lohnenswert sein. |
Zurückkommend auf das Eingangsbeispiel ist es durchaus fragwürdig, ob Konzerne wie die Daimler AG, die einen sehr hohen Aufwand bei der Qualitätskontrolle ihrer Produkte betreiben, bereit sind, diese als Original-Ersatzteile von quasi jedermann auf Druckern außerhalb der Konzernkontrolle ausdrucken zu lassen. Bei unsauber oder fehlerhaft ausgedruckten Bauteilen könnte dies einen Imageschaden für die Marke bzw. das Unternehmen bedeuten. Natürlich könnten derartig hergestellte Bauteile auch unter einem anderen Label als „Original“ auf den Markt gebracht werden.
Was aber, wenn der Kunde dann doch ein Original-Ersatzteil des OEM haben möchte?
In diesem Falle müssten die Hersteller ihre Lieferketten beibehalten oder zumindest, siehe das Beispiel VW, eigene regionale Druckzentren weltweit errichten.
Hinzu kommt der rechtliche Aspekt der Haftung. So manchem autoaffinen Bastler wurde bereits die TÜV-Plakete verweigert, weil er die allgemeine Betriebserlaubnis der zusätzlich montierten Nebelscheinwerfer nicht vorweisen konnte, die besagt, dass nach fachkundiger und kostenpflichtiger Prüfung genau diese Scheinwerfer auf genau dieses Fahrzeug montiert werden dürfen, ohne eine Gefahr für den Straßenverkehr darzustellen.
Erscheint da nicht ein – plakativ gesagt – vom Paketzusteller während der Fahrt ausgedruckter Bremssattel als eine für den Straßenverkehr womöglich größere Gefahr?
Dass es möglich ist, einen Bremssattel aus Metall, in diesem Falle aus Titan, auszudrucken, beweist gerade Bugatti bei seinem Chiron, dem derzeit schnellsten Auto der Welt.(3) Der Ausdruck dieses Präzisionsbauteils erfolgt dabei unter kontrollierten Werkstattbedingungen mit anschließender Qualitätskontrolle.
Wer aber haftet, wenn der von einem Privatmann in seiner Garage oder vom Logistikunternehmen während der Fahrt ausgedruckte Bremssattel unter Belastung versagt, und dabei gar Menschen zu Schaden kommen?
Diese rechtliche Frage muss noch geklärt werden. Eine mögliche Antwort darauf liefert Markus Kückelhaus, Vice President Innovation and Trend Research bei DHL Customer Solutions & Innovation, der sagt, „nicht alle Produkte sollten, können oder werden mit 3-D-Druckern produziert werden“.(5) Daneben gibt es jedoch auch eine ganze Reihe von Produkten, die weniger präzise hergestellt werden müssen und sicherheitskritisch deutlich weniger relevant sind.
Kann dabei eine gleichbleibende Produktqualität nicht garantiert werden, wäre es vorstellbar, dass eine Kostenrechnung, welche die Einsparungen des endkundennahen 3-D-Drucks den Aufwendungen durch Garantiefälle gegenüberstellt, darüber entscheidet, ob ein Produkt für den 3-D-Druck beim oder auf dem Weg zum Kunden geeignet ist. Und schließlich gibt es auch Produkte, die geradezu prädestiniert für die individuell an den Endkunden angepasste Herstellung im 3-D-Druck sind. Ein typisches Beispiel hierfür sind kundenspezifisch hergestellte Schuhsohlen. Der 3-D-Drucker wird mit konventionell oder auch im 3-D-Druck hergestellten Schuhen bestückt, in die die Sohlen „eingedruckt“ werden. Dieses als „Postponement“ bezeichnete Verfahren der kundenindividuellen späten Differenzierung eines Standartprodukts in verschiedene Varianten greift auch der DHL-Report auf und wäre in Anbetracht der derzeitigen Möglichkeiten des 3-D-Drucks kurzfristig umsetzbar.
Eine Studie von Bain & Company aus dem Jahre 2013 zeigt, dass derzeit ca. 10 % der Online-Konsumenten die bereits jetzt angebotenen Möglichkeiten der Produktindividualisierung nutzen und weitere 25 % bis 30 % daran interessiert sind. Werden künftig 25 % Nutzer zugrunde gelegt, kommt Bain & Company in seiner Studie auf einen Umsatz für den Bereich Schuhwerk von 2 Milliarden US-Dollar jährlich.(7)
Die bisher beschriebenen Veränderungen in den Lieferketten entspringen in erster Linie Initiativen der Hersteller oder der Logistikunternehmen. Beachtet werden sollte jedoch auch das Verhalten der Konsumenten in Bezug auf die neuen Möglichkeiten der 3-D-Drucktechnik. Laut einer Erhebung des jungen Amsterdamer Unternehmens 3-D Hubs haben jetzt bereits eine Milliarde Menschen Zugang zu einer 3-D-Produktionsstätte in höchstens 16 km Entfernung. Und Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der 3-D-Drucker jährlich verdoppeln wird, bei sinkenden Anschaffungskosten. Was derzeit noch eher ein Hobby einzelner Technologiebegeisterter ist, könnte dann zu einer alltäglichen Gebrauchssache werden: Der 3-D-Drucker zu Hause, mit dessen Hilfe der Konsument selbst die Supply-Chain-Prozessschritte überspringt, sich nur noch das Grundmaterial liefern lässt und seine neuen Schuhe, um beim Beispiel zu bleiben, zu Hause zu einem beliebigen Zeitpunkt selbst ausdruckt. Inwieweit dieses Szenario eintreten wird, ist schwer vorherzusagen. Immerhin sind 90 Prozent der Teilnehmer einer unter den Bundesbürgern Anfang 2017 durchgeführten repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom der Meinung, dass sich der 3-D-Druck auf lange Sicht in Privathaushalten durchsetzen wird.(8)
Sollten sich diese Erwartungen erfüllen, würde dies zu einem Umsatzrückgang im (physischen) Onlinehandel und bei den Transportmargen führen. Mit einer halb- oder einjährlichen Lieferung von Grundmaterial lässt sich kaum der gleiche Umsatz erzielen wie mit der ein- oder zweiwöchentlichen Lieferung eines Produkts. Und die „Versandkosten“ der digitalen Herstelldaten für den hausgemachten 3-D-Druck werden dies auch nicht ausgleichen können.
Die Sichtweise „Warum in ein Geschäft gehen, wenn man auch online aussuchen und die Ware kostenlos nach Hause geliefert bekommen kann?“ ist ursächlich für die Umsatzverschiebung vom Einzelhandel zum Onlinehandel. „Warum auf die Lieferung warten, wenn ich die Ware jetzt direkt selber herstellen kann?“ könnte ursächlich werden für eine Umsatzverschiebung des physischen Onlinehandels hin zum digitalen Onlinehandel, gleiche Produktqualität vorausgesetzt.
Dem auf dem Rückzug befindlichen Einzelhandel könnte der 3-D-Druck dagegen neue Impulse geben. Vom reinen Vertriebs- und gelegentlich auch Reparaturcenter könnten sich manche Einzelhandelsgeschäfte zu einer Mikrofabrik wandeln. Bei geringerer Lagerhaltung und gleichzeitig erhöhter Produktvielfalt, und ein bisher vorhandener Reparaturservice könnte sich in einen 3-D-Kopierservice wandeln. In der Studie des Digitalverbands Bitkom gaben 55 Prozent der Befragten an, bereits jetzt gerne einen „3-D-Copyshop“ in der Nähe nutzen zu wollen.
Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass der 3-D-Druck die Lieferketten revolutionieren und den Logistikunternehmen dabei auch Raum für neue Geschäftsideen und -beziehungen geben wird. Eine vollständige Verdrängung des konventionellen Warenverkehrs ist jedoch nach derzeitigem Stand der Technologie, sowie unter den Gesichtspunkten von Garantie und Haftung, gewerblichen Schutz- und Urheberrechten und auch dem mit manchen Produkten verknüpften Hersteller-Renommee, nicht zu erwarten.
Etwas hypothetischer einzuschätzen ist das Verhalten der Konsumenten. Die „Homeproduction“ und der Handel digitaler Herstelldaten werden mit Sicherheit zunehmen, zu Lasten des Handels mit physischen Waren. Ob aber zumindest in Deutschland mit einer zu über 60 Prozent zur Miete wohnenden Bevölkerung jeder Haushalt sich seine eigene Mikrofabrik ins Wohnzimmer stellen möchte, ist fraglich.
In jedem Falle aber wird die 3-dimensionale Zukunft den Warenhandel und Güterverkehr verändern. //
Autorenvita Prof. Dr. Welf Wawers
(1) https://www.strategyand.pwc.com/de/pressemitteilungen/3d-druck; Aufruf: 25.04.2018
(2) https://www.daimler.com/nachhaltigkeit/produktion/3d-druck.html; Aufruf: 25.04.2018
(3) https://logistik-aktuell.com/2018/02/27/3d-druck-in-der-autoindustrie/; Aufruf: 25.04.2018
(4) http://www.dhl.com/en/about_us/logistics_insights/dhl_trend_research/3d_printing.html; Aufruf: 25.04.2018
(5) https://3druck.com/visionen-prognosen/dhl-veroeffentlicht-trend-report-3d-druck-und-die-zukunft-der-lieferkette-3651894/; Aufruf: 25.04.2018
(6) „Providing services related to item delivery via 3D manufacturing on demand“; US-Patent Nr. US 2015/0052024 A1; Pub. Date Feb 19, 2015
(7) http://www.bain.com/publications/articles/making-it-personal-rules-for-success-in-product-customization.aspx; Aufruf 25.04.2018
(8) https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Bundesbuerger-sagen-3D-Druck-grosse-Zukunft-voraus.html; Aufruf 25.04.2018
Lautsprecher: Von Leuchtender Hund – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=67013506
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